Anekdoten eines 90-jährigen Modefotografen
Werner Umstätter suchte Bären für Helmut Newton, lernte das Model Buxy von Elbel näher kennen und erarbeitete sich mit Studentenjobs nicht nur Selbstvertrauen.
Letzten Sommer lernte ich Werner Umstätter kennen. Er war von den 60ern bis in die 90er hinein erfolgreicher Mode- und Werbefotograf. Seine Karriere begann bei der Modezeitschrift Constanze. Dort assistierte er vor allem Rico Puhlmann, aber auch Helmut Newton, F. C. Gundlach und Khan von Ludwig. Später arbeitete er für Dorland, eine der ältesten Werbeagenturen Europas.
Ich besuche ihn alle zwei Wochen. Wir sprechen dann über Fotografie und das Leben. Mit fast 90 Jahren hat er zu beidem eine Menge zu sagen. Die Geschichten hinter seinen Fotos halte ich mit seinem Instagram-Account @wernerumstaetter fest. Hier sind die ersten drei.
Nr. 1
„Newton wollte immer Possen machen“
Wie hier, bei der Modestrecke auf dem Berliner Funkturm Anfang der 60er. Die Jungs wurden spontan von der Straße geholt. Sie sollten die Models bestaunen, so die Idee von Fotograf Helmut Newton. „Der sieht doch gut aus! Guck mal, Werner … Hol den doch mal!“, erinnert sich Werner Umstätter. Er war Newtons Assistent an dem Tag. Und die Jungs fanden das wohl ganz spannend. Klärung der Bildrechte, Einverständnis der Eltern? „Die kriegten dann einen Zehner für zwei Lutscher und Ende war’s“, winkt Werner Umstätter ab.
Probleme gab’s mit dem Bären. Die liefen eigentlich zuhauf in Berlin herum, für die Touristen. Nur musste einer gefunden werden, der ein gutes Kostüm hatte und gleichzeitig nicht zu viel Gage wollte. Werner Umstätter brachte zwei zur Auswahl. „Aber der Joachim Kampf [Chefredakteur von Constanze Mode] fand das scheiße. Das sei nicht modisch, das würde zu sehr ablenken. ‚Wir wollen die Mode verkaufen, nicht den Bären‘, so ging das immer“, erinnert sich Werner Umstätter weiter. Aber Helmut Newton war ja der Vogue-Fotograf aus Paris: „Wollt ihr gute Bilder haben oder bei euren Scheißbildern bleiben?“, soll er dann diskutiert haben. So wurde das Foto mit dem Berliner Bären Teil der Fotostrecke, auch wenn es nicht die von Newton gewünschte Doppelseite bekam.
Als Assistent hielt Werner Umstätter damals auch das Laken, hinter dem sich die Models umzogen. „Aber das war denen völlig wurscht, ob die gesehen wurden“, lacht er.
Nr. 2
„Die fand der Newton gut“
Buxy von Elbel war in den 50ern und 60ern ein beliebtes Model. „Die hatte mehr Busen und war sportlicher als alle anderen. Die fand der Newton gut. Der wollte nicht die ganz spirlichen, das mochte er nicht“, erinnert sich Werner Umstätter. Er kam 1960 als Assistent zur Constanze, dem deutschen Top-Modemagazin der Zeit – kurz bevor Twiggy das weibliche Körperideal des „Zweigleins“ verkörperte.
Bis dahin waren Kurven in Form einer Sanduhr beliebt: mit viel Oberweite, einer schmalen Taille und breiten Hüften. Eine 40/42 sollte man als Frau in den 50ern sein. Dafür verkauften Unternehmen sogar Pillen – zum Zunehmen. Mitte der 60er war das Gegenteil angesagt: Mit 1,68 Meter wog Twiggy gerade mal 41 Kilo, als sie als Model entdeckt wurde. Strenge Diäten wurden Trend und Weight Watchers machte daraus ein Geschäftsmodell.
Buxy von Elbel entsprach figürlich eher den 50ern als den 60ern. Und das fand nicht nur der Fotograf Helmut Newton vor der Kamera gut. Werner Umstätter und Buxy von Elbel lernten sich eines Tages etwas besser kennen. Zum Abschied gab sie ihm ein goldenes Dunhill-Feuerzeug mit der Gravur „Hexe“. Denn Buxy von Elbel heiratete 1965: den Grafen Gancia – und wurde damit Teil der Familie hinter dem gleichnamigen italienischen Schaumwein.
Nr. 3
„Es gibt einem Vertrauen, wenn man weiß, dass man es mal allein geschafft hat“
Zur Modefotografie kam Werner Umstätter über die TUSMA – das war die Kurzform für „Telefoniere und Studenten machen alles“, eine Arbeitsvermittlung der Technischen Universität Berlin. „Damit hat die Hochschule den Studenten Arbeit verschafft, die kein Stipendium hatten oder keine reichen Eltern“, erklärt der Fotograf.
Doch bevor Werner Umstätter 1960 als Assistent zum Modemagazin Constanze vermittelt wurde, war er über die TUSMA an ein paar andere, nicht weniger interessante Studentenjobs geraten. Er fotografierte das erste und einzige Modell eines deutschen Amphibienfahrzeug-Herstellers, war Eintänzer in einer Oben-ohne-Bar und ließ sich als Trauzeuge buchen. „Ein Ami und ein Mädchen aus Berlin wollten damals heiraten und der Ami hatte hier keinen Trauzeugen und ohne ging’s ja nicht“, erinnert sich Werner Umstätter, „dann bin ich hingegangen, yes, yes, yes – fertig. Und es gab Geld.“
Der damals Mitte-20-Jährige sagte selten Nein zu einer Gelegenheit, sich was dazuzuverdienen. Denn er, der als 11-Jähriger aus Rumänien nach Deutschland geflohen war, zählte zu eben jenen Studenten ohne reiche Eltern, ohne finanzielles Polster. Im Gegensatz zu vielen anderen in den 50ern, die aufgrund vom amerikanisch geförderten Wirtschaftswachstum in Westdeutschland profitiert hatten.
Doch diese Erfahrung hat Werner Umstätter für seine spätere Karriere gestärkt. „Es gibt einem Vertrauen, wenn man weiß, dass man es mal allein geschafft hat“, weiß er heute. Außerdem wären die TUSMA-Jobs ja immer auch lustig gewesen – egal ob er Autos durch die Zone schleuste oder Modefotografen assistierte.