Berlinale-Looks: Top of the Flops
Hier wird Mode auf Eis gelegt: Der rote Teppich ließ seine Gäste frieren – und mich erstarren.
Schwere Zeiten sind das gerade, ja. Es beginnt das zweite Jahr seit dem Glitzer-Verbot, die Marke Esprit ist nun nicht nur gefühlt tot, sondern so richtig. Und dann war da noch der rote Teppich der Berlinale-Eröffnung.
Am Donnerstagabend strömten die üblichen kameraaffinen Gesichter Deutschlands zum Potsdamer Platz, um sich bei etwas unter null Grad auf dem recycelbaren roten Teppich ablichten zu lassen. Ein Spektakel, das bis 1978 übrigens im Sommer stattfand. Die meisten Outfits der Gäste sehen heute noch danach aus.
Dabei ist es Berlins härtester Monat: grau, zugig und erbarmungslos. Es heißt, dass der erste Februar für jeden Dazugezogenen die Zerreißprobe sei. Und es soll Menschen geben, die haben ihr nicht standgehalten – und sind zurückgezogen in ihre Heimat, wo man sich im Winter mit Pulverschnee-Garantie oben ohne sonnt.
Berlinale-Gäste sind ein anderes Kaliber. Wer schön sein will (und Förderung fürs nächste Filmprojekt einheimsen möchte), muss eben bei eisigen Temperaturen leiden. Zumindest ist das die Mär, die man sich offensichtlich unter den Sternchen der deutschen Filmlandschaft auftischt. Anders lassen sich die nackten Arme und Beine (und beides) nicht erklären. Oder denkt womöglich einer der Teppich-Besucher, er sei hier bei den wolkenlosen Filmfestspielen von Cannes oder Venedig?
An dieser Stelle ist zu sagen: Mir liegt es fern, hiesige Schauspieler, Regisseure und Drehbuchautoren inhaltlich zu kritisieren. Wie könnte ich auch? Mein Anspruch an dramaturgische Qualität versperrt mir den Zugang zu deutschen Produktionen. Das äußert sich nicht selten körperlich: Meine Augen verschließen sich krampfhaft zu engen Schlitzen und meine Ohren entfliehen in ein tinnitusartiges Rauschen – alles besser als diese seifenoperettigen Dialoge. Ich darf also gar nichts über den miserablen Zustand von Film und Fernsehen sagen, weil ich es mir einfach nicht angucken kann. Aber zurück zur Mode vom Teppich.
Denn der kann man dieser Tage nur schwer entkommen. Erhält doch jedes Outfit ein wohlwollendes mediales Schulterklopfen. „Schick geschnürt“ findet die Gala-Redaktion eine Schauspielerin in ihrem Kleid vom Berliner Label Haderlump, das ein bisschen nach Fallschirmunfall aussieht. Eine andere „glitzere ganz hinreißend“ im silbernen Fischernetz-Zweiteiler der französischen Marke Ba&sh. Außerdem passe ihre Clutch von Saint Laurent ja farblich so gut zum BH, lobt die Moderedaktion von T-Online. Wow.
Das ist Deutschland: Stilanforderungen tanzen hier Limbo. Obwohl sich durchaus etwas Konstruktives hätte sagen lassen zur Kleiderwahl der beiden: Immerhin tragen sie kein Schwarz – wie 87 Prozent der weiblichen Gäste. Sollten wir seit den Farbberatungen der 80er doch alle wissen: Schwarz steht ganz und gar nicht jedem, im Gegenteil.
Dabei gaben sich einige wirklich Mühe (einige, nicht alle): mit teurem Tweed aus Chanels Couture-Kollektion zum Beispiel. Doch gut gemeint ist nicht gut gemacht. Mir fehlt da die Ehrlichkeit. Entspricht der Look wirklich der Persönlichkeit? Oder ist der Teppich-Besuch darin nur eine Zweit-Verwertung für den Job als Markenbotschafterin? Andere wiederum spielten ganz offen Fasching: in einer grün-blau-weißen Aufmachung mit Federn und Schmucksteinen von Miu Miu, die so noch nicht produziert wurde. Gründe dafür fallen mir einige ein.
Nur ein Outfit war auf den ersten Blick den Temperaturen angemessen: ein schwarzer Chanel-Overall mit flauschigem Kragen, der auch als Ski-Anzug durchgehen hätte können – wäre er nicht aus der Sommerkollektion. Aber zumindest bot sich hier die Möglichkeit für wärmende Unterwäsche, auch wenn die nackten Füße in den Plateau-Pumps nicht zu retten waren.
Ist es für deutsche Stylisten denn unmachbar, den Teppich-Gängern ein Ensemble zusammenzustellen, das nicht nur schick ist, sondern auch warmhält? Etwas, das nach Berliner Winter aussieht, nicht nach einer Temu-Version der Red Carpet Events in Los Angeles. Warum der Hang zur schlechten Kopie? Als müsse man sich den internationalen Gästen anbiedern. Kann sich Deutschland nicht um einen eigenen Look bemühen? Wobei … Es gibt da den einen oder die andere, denen ich das modische Zepter dafür ungern in die Hand geben wollen würde.
Doch wie so oft: Es war nicht alles schlecht am Donnerstagabend. Einige haben es beinahe mit Bravour gemeistert. Eine Grande Dame kam winterlich im Wollmantel, darunter Anzughose und Nadelstreifenhemd – alles von der Berliner Designerin Anne Bernecker, die ihre Kollektion aus Vintage-Teilen kreiert und mit aufwändigen Applikationen modern macht. Da sich die Grande Dame mit fast 75 Jahren aber auch etwas verschwenderischen Luxus leisten darf, trug sie dazu 12.000-Euro-Diamanten von Cartier an den Ohrläppchen.
Auch eine Schauspielerin und ein Szenenbildner wirkten maximal authentisch und versprühten diese lässige Berlin-Coolness, die andere mit ihren Insta-Looks krampfhaft nachzuahmen versuchten. Die Schauspielerin trug einen Entwurf des Berliner Designers Michael Sontag: ein für ihn typisch fließendes Gewand in einer grau-beigen Unfarbe, das sie fast an eine Statue erinnern ließ. Der Szenenbildner kam im schwarzen Nadelstreifenanzug mit lila Hemd und knalliger Krawatte – endlich Persönlichkeit, danke!
Zwei weitere Outfits waren ebenfalls löblich, wenn auch in Schwarz, was keiner von beiden Frauen stand. Aber zumindest stimmte der Vibe: einmal eine Hosen-Blusen-Kombi mit überdimensionaler Deko-Blume. Und dann ein elfenhaftes Organza-Kleid vom Berliner Label Kaviar Gauche mit einem zweireihigen Blazer drüber. Auch hier erkenne ich Charakter – und zwar den der Person, nicht den des Stylisten oder der PR-Agentur des Labels.
Bleibt nur zu hoffen, dass sich keiner erkältet hat bei so wenig Stoff und jeder seine Fotos vom roten Teppich gut studiert – um es im nächsten Jahr besser zu machen. Und wer weiß, vielleicht werden die Looks des roten Teppichs der Berlinale dann ja sogar zur Inspiration für andere.
"Mein Anspruch an dramaturgische Qualität versperrt mir den Zugang zu deutschen Produktionen." Ich versteh dich.
Ich getraue mich nicht, auf die Links zu klicken. 🙈