Feste feiern wie Kleider fallen
Pailletten sind immer eine Party wert – auch wenn ich der einzige Gast bin.
Es gibt Anlässe, die ein Kleid verlangen. Und es gibt Kleider, die einen Anlass verlangen. Letztere sind einmalig: aus Seide, Viskose oder Acetat, mit Pailletten bestickt, von Hand gesäumt – und ihre extravaganten Etiketten machen Lust, einen Korken tatsächlich knallen zu lassen. Solche Kleider lässt man nicht warten. Eine Festlichkeit muss her! Eine, die so einem Kleid gerecht wird.
Nach erstem Nippen wählt man sich dann die Finger wund, um festzustellen, dass man weder zum letzten Tag des Jahres noch zur eigenen Hochzeit einlädt. Aber das Glas ist ja nicht nur halb leer, sondern auch halb voll, also wählt man weiter – so lang, bis keiner mehr rangeht und man die Musik lauter dreht und das Glas noch mehr halb voll schenkt.
Da singt Marianne aus der Bluetooth-Box schon wieder davon, wie er zu mir gehört und die Hüfte setzt sich durch und kümmert sich nicht um die Nachbarn gegenüber am Fenster. Ohne Brille, dafür mit ordentlich Dioptrien wird Kerzenschein beim Um-die-eigene-Achse-Drehen zum Leuchtzeichen und das Hämmern der anderen Hausbewohner mit etwas Taktgefühl zur Bassline.
Das Paillettenkleid strahlt sich selbst an, funkelt, als gäb’s kein morgen mehr. Dabei ist es längst nach Mitternacht. Den letzten Schluck prostet man der tanzenden Reflexion in der Scheibe zu und sagt allen, die nicht da sind, aber sicher gern gekommen wären und eine Menge verpasst haben, gute Nacht, während einem auf dem Weg ins Schlafzimmer die Träger mal die Schulter runterrutschen können.
Der nächste Morgen begrüßt einen mit einem silvester-würdigen Kopfschmerz, Pailletten lassen sich im Bett wie im Zahnputzbecher finden und irgendwie zieht da was in der Seite. Man fragt sich, was gestern eigentlich war, wie alles so weit kommen konnte und wieso man nie weiß, wann Schluss ist. Aber dann erinnert man sich daran, dass man Feste ja feiern soll, wie sie fallen – und Kleider eben auch.