Lade mich nicht zur Hochzeit ein, wenn …
Traditionen ohne Herz: 5 Hochzeitsbräuche, bei denen ich als Gast lieber zu Hause bleiben würde.
„Darf ich als Mann eigentlich was Helles tragen?“, fragte er mich und scrollte durch die Selfies von seinem Partner in verschiedenfarbigen Anzügen. Mein bester Freund war zu einer Hochzeit eingeladen und wollte sichergehen, dass keiner der beiden modisch danebenlag. Wäre es meine Hochzeit, könntet ihr in Hawaiihemd und Badehose kommen, dachte ich. Aber es war nicht meine Hochzeit, also trugen wir unser Halbwissen über Gäste-Dresscodes zusammen.
Von ungern gesehenen Farben kamen wir schnell zu den obligatorischen Gepflogenheiten an so einem Tag: „Hochzeitsknigge“ nennen das Online-Ratgeber. Doch fast alle Regeln stammen aus einer Zeit, in der es nicht nur noch kein Internet gab, sondern die Eheschließung auch sehr wenig mit Romantik zu tun hatte. Finanzielle Absicherung, das Wahren des Standes, politische Interessen oder eine ungeplante Schwangerschaft waren jahrhundertelang die Motivation für den „schönsten Tag im Leben“.
Spätestens seit ich die Bedeutung des Brautschleiers kenne, sind Hochzeitsbräuche für mich antiquiert. Ich hatte das Stück Gaze vor den Augen als elegantes Accessoire gesehen. Dass es eigentlich dazu diente, die Tränen der Braut zu verstecken, die ihren Gatten nämlich oft gar nicht ein Leben lang ans Bein gebunden bekommen wollte, vermieste mir mein Faible für Schleier.
Heute weint deswegen (hoffentlich) keine Braut mehr an ihrem Hochzeitstag. Die Traditionen sind trotzdem geblieben: Wer sitzt auf welcher Seite? Wann spricht der Brautvater? Und dann all die Spiele, die schon auf den Hochzeitsfotos der Eltern nicht nach Spaß ausgesehen haben. Man könnte meinen, es ginge nicht um die Zusammenkunft im Namen der Liebe, sondern ums Abarbeiten einer kitschig kalligrafischen Checkliste – eine, die tausend Jahre alt ist.
1. … niemand „schöner“ sein darf als die Braut
Ob Rot, Schwarz oder auffällige Muster: Die Liste verbotener Farben auf Hochzeiten ist lang. Und dafür erspinnen sich deren Verfechter die wildesten Begründungen. Wer Rot trägt, soll mit dem Bräutigam geschlafen haben. Wer Weiß trägt, wäre lieber selbst die Braut. Wer Schwarz trägt, betrauere den Tag und damit die Zusammenkunft der Eheleute in spe.
Auch Kleider in Creme-, Champagner- oder Beige-Tönen seien ein No-Go. Denn damit würde man der Braut genauso ihren Rang ablaufen, im schlimmsten Fall sogar für sie gehalten werden. Doch wenn die Gäste die Braut nur an der Farbe ihres Kleides erkennen können, stellt sich mir die Frage, warum sie überhaupt auf der Gästeliste stehen.
2. … der Bräutigam eine Stripperin zum Junggesellenabschied ordert
Wenn ich mein Single-Leben so sehr vermissen werde, dass ich dafür eine Abschiedsparty schmeißen muss – sollte ich dann heiraten? Die Spartaner fanden: Ja. Sie feierten den letzten Abend des Bräutigams vor der Hochzeit mit einem Abendessen und Trinksprüchen auf ihn. Das war etwa 500 vor Christus.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde aus dem sittlichen Dinner eine sündige Entgleisung: Auf der „Greatest Bachelor Party on Earth“ amüsierte sich der Enkel von Zirkus-Pionier P. T. Barnum mit einer Handvoll Showgirls und einer nackten Bauchtänzerin, die aus einer Sahnetorte sprang. Sein Bruder Clinton hatte ihm die Party geschmissen. Doch aufgrund „unmoralischen Verhaltens“ landeten alle Anwesenden vor Gericht. Und Clintons Ehefrau reichte die Scheidung ein.
Das tat auch Paris Hilton, als sie erfuhr, dass ihr Verlobter, Milliardärs-Enkel Paris Latsis, auf seinem Junggesellenabschied 2005 fremdgegangen war. Vielleicht gar nicht so selten, wie eine Umfrage von letztem Jahr ergab: 70 % aller Amerikaner sollen ihre Partner auf einer Bachelor-Party betrogen haben. Allerdings zählte dazu alles von Lapdance bis Dreier. Trotzdem setzt es der Tradition des JGA das Sprühsahnehäubchen auf.
3. … Männer ihr Sakko erst ausziehen dürfen, wenn’s der Bräutigam getan hat
Dass eine Hochzeit keine Zeit zum Durchatmen lässt, merkt man, wenn selbst das Sakko des Bräutigams einen Punkt im Programmheft bekommt. Es hält sich hartnäckig die Tradition, die Anzugjacke solang anzubehalten, wie der Bräutigam seine trägt. Die Erklärung? Dem werdenden Ehemann nicht seine Position als Mann der Stunde streitig zu machen.
Worauf man sich also stillschwitzend einigt: dass Männer in ihren Polyesteranzügen (die wenigstens tragen Leinen, leider) so lange Schweiß ansammeln, bis der Bräutigam genug hat vom Hitzestau. Im Anschluss darf man dann Achselflecken und nasse Rücken versuchen zu ignorieren. Das ist wohl der Preis, den Mann für den Erhalt einer Rangordnung zahlt.
4. … das Anschneiden der Hochzeitstorte darüber bestimmt, wer „die Hosen anhat“
Am Anfang trugen alle Rock. Bis die Römer den Griechen ihre Beinkleider abguckten. Danach herrschte schlichtweg Willkür bei der Hosenverteilung: Sie wurden nicht nur eine Sache des Geschlechts. Hosen waren auch eine Frage des Standes. Und Crossdressing wurde zum Schlupfloch – wenn auch unter Strafe stehend. Einen Schlussstrich unter die Hosendiskussion setzte erst Yves Saint Laurent, der 1966 „Le Smoking“ für die Frau entwarf.
Spätestens damit sollte sich geklärt haben, wer in einer Beziehung „die Hosen anhat“: bestenfalls beide. Doch wenn sich die Frage des gegenseitigen Respekts erst beim Teilen einer Sahnetorte auftut, ist vielleicht mehr im Argen als die Konfektion.
5. … der Brautstrauß gefangen werden soll
Schon bei Sex & the City wollte keine der vier Freundinnen den Brautstrauß fangen – noch nicht mal Charlotte. Wie soll man das auch finden, wenn man in Konkurrenz mit anderen nach einem blumengewordenen Lebensentwurf hechten soll? Denn der gefangene Brautstrauß soll bedeuten, dass man „die nächste“ ist: reif für die Ehe, reif für eine Hochzeit voller Programmpunkte. Und das anscheinend besonders verzweifelt.
Auch dieser Brauch stammt aus einer Zeit, in der Frauen ohne Mann eher weniger wert waren. Ich mag Blumen, jedoch für ihre Farben, den Duft, die Vergänglichkeit. Was ich nicht mag: so tun zu müssen, als wäre verheiratet zu sein nach wie vor ein Must-have. Da bleibe ich lieber bei floralen Broschen, zumindest für den Sommer.
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