Mein Kleid, mein Stil?
Wie Laura Ashley mich lehrte, dass man sich treu bleiben kann, indem man sich aufgibt.
Für mein Kleid von Laura Ashley gibt es genau dreieinhalb Tage im Jahr mit dem richtigen Wetter. Weil die dicht gewebte Baumwolle zu warm ist bei praller Sonne und die Ärmel zu kurz sind für Schattentemperaturen. Doch das war nicht der Grund, warum ich beim Kauf zögerte.
Ich fand es auf Vinted, der Preis war beinahe ein Schnäppchen: 70 Euro wollte die Verkäuferin haben. Das war im Juni 2022, als die Vintage-Kleider der britischen Designerin ihren Hype-Höhepunkt erreicht hatten. 150 Euro pro Kleid waren nicht unüblich. Und wurde ein Modell zum Sammlerstück erkoren, waren 200 Euro erst der Einstiegspreis.
Trendtechnisch war ich also spät dran. Aber das störte mich so wenig wie die wetterlichen Bedingungen, die das Kleid stellte. Der Grund meines Zögerns war eine Styling-Frage: Würde ich das Kleid tragen oder das Kleid mich?
Mir fehlte die Vorstellung, wie ich es nach mir aussehen lassen könnte. Wo ich sonst eine übergroße Seidenblume dranstecke, einen Pullover über die Schultern werfe oder die Muschelkette aus dem Sommerurlaub als Fußkettchen umfunktioniere, ist bei diesem Kleid kein Platz für die eigene Persönlichkeit. Die Puffärmel tolerieren nichts zum Drüberziehen. Die v-förmige Basque-Taille gibt einem Gürtel keine Chance. Und der Rockteil hat zu viel Stoff, um darunter mehr als nackte Beine zu tragen.
Dieses Kleid ist völlig kompromisslos, dachte ich. Und so sehr von sich selbst überzeugt! Ich holte mir Styling-Rat von anderen Laura-Ashley-Trägerinnen. Doch mehr als Adiletten als ironischer Kontrast oder eine riesige Schleife im Haar für noch mehr Nostalgie konnten auch sie nicht beisteuern. Kurz überlegte ich, ob ich das Kleid zweiteilen sollte: Als Rock und Oberteil könnte ich wenigstens in der Kombination meinen Stil durchsetzen.
Doch als es ankam, brachte ich es nicht übers Herz. Ich ließ es ganz. Und auch meine Styling-Versuche scheiterten: Mit einem weißen Rollkragenpullover aus halbtransparenter Merinowolle druntergezogen sah ich alarmierend medizinisch aus. Und ein Seidentuch mit goldenem Blüten-Print in der Hüfte fühlte sich nur aufdringlich an. Ich musste einsehen: Ein Kleid von Laura Ashley lässt sich stilistisch nicht verbiegen.
Nun war diese Woche einer dieser dreieinhalb Tage, an denen das Wetter dafür perfekt ist. Und als ich das Kleid aus dem Schrank holte, musste ich wieder staunen: wie der Stoff wie von selbst steht, der Ausschnitt mit Details reizt – allein die überwältigende Masse an Material.
Ich dachte an Laura Ashley als Person hinter der Marke: wie sie neben ihrem Job als Sekretärin das Modelabel am Küchentisch ihrer Londoner Wohnung gegründet hatte – mit ihrem Mann zusammen, als werdende Eltern. Das war Anfang der 50er. Eigentlich wollte Laura Ashley nur Küchentextilien und Kopftücher bedrucken: mit viktorianischen Mustern. Dazu hatte sie sich bei einer Ausstellung im Victoria and Albert Museum inspirieren lassen. 10 Pfund investierten sie und ihr Mann dafür in einen Holzrahmen, Farben und ein paar Bahnen Stoff. Die Kopftücher wurden zum Kassenschlager.
In den 60ern designte Laura Ashley auch Kleider, Blusen und Röcke in dem Stil. Damit stemmte sich die Modemarke erfolgreich gegen den zu der Zeit angesagten Futurismus. In den 70ern wurde das Label dann weltweit bekannt. Der Laura Ashley Look stand für romantische Designs im britischen Landhausstil des 19. Jahrhunderts. Für die Hippie-Bewegung kamen die Kleider wie gerufen.
Mein Kleid ist aus den 80ern, das lässt sich nicht nur an der Ballroben-Silhouette in Bonbonfarben erkennen, sondern auch am Markenetikett innen. In den 60ern bestand das Logo nur aus Schrift, der Kreis um den Namen kam erst in den 70ern dazu. Da aber in Schwarz, nicht in Grün wie bei meinem, und mit dem Vermerk „Made in Wales“. Das wurde in den 80ern von „Made in Great Britain“ abgelöst – und fiel in den 90ern ganz weg, weil die Produktion nach Osteuropa und Asien ausgelagert wurde.
Mitte der 90er verlor der Laura Ashley Look auch an Beliebtheit. Als wäre mit dem Tod der Designerin 1985 ebenso die Liebe für ihre romantisch-nostalgischen Kleider gestorben. Es folgten Jahre des wirtschaftlichen Auf und Abs. Doch kurz bevor das Unternehmen im März 2020 Insolvenz anmeldete und unter neuem Inhaber nur ein Schatten seiner selbst wurde, feierten die floral bedruckten Kleider mit ausladendem Umfang noch mal ein Revival. Vielleicht aus Trotz gegen die Instagram-Flut von Bodycon Dresses. Vermutlich aber eher aufgrund der Kollektion, die Laura Ashley mit Urban Outfitters im Sommer 2019 auf den Markt brachte.
Doch die Fast-Fashion-Interpretationen hatten natürlich nichts gemein mit der Qualität des Originals. Also suchten Modekenner in Secondhand-Shops nach Laura-Ashley-Kleidern von früher. So wurde das Modelabel, dessen Stil selbst auf einer modehistorischen Inspiration basierte, mehr als 60 Jahre später zur begehrten Vintage-Marke.
Laura Ashley verkaufte allerdings nie nur Kleidung, sondern einen Lebensstil: von Kleidern und Stoffen über Tapeten, Möbel, Bettwäsche bis hin zu Porzellan. Sollte da vielleicht gar kein Platz bleiben, um die eigene Persönlichkeit mit einzubringen? War der Grund meines Zögerns beim Kauf der Motor für den Erfolg der Marke?
Die Designs entsprangen einer Fantasie: die urbane Idealisierung einer ländlichen Lebenswelt – das Landleben für die oberen Zehntausend. Denn ein Laura-Ashley-Kleid ist mehr für ein Glas Rosé auf der gepflasterten Terrasse gemacht, als darin Unkraut zu jäten oder den Hühnerstall auszumisten.
Und als ich diese Woche in meinem Laura-Ashley-Kleid durchs Wohnzimmer stolzierte, mich auf die Couch setzte, um in Pose geworfen ein bisschen zu schmollen über diese Frechheit, mir vorzuschreiben, wo ich meinen Rosé zu trinken hatte, da fiel mir nicht nur auf, wie schön es sich stolzieren und in Pose werfen lässt in diesem Kleid. Ich musste auch an die Kopftücher zurückdenken. Der Erfolg von Laura Ashley basierte auf ihrer Beharrlichkeit. Sie wollte die Kopftücher nicht irgendwie bedrucken; sie hatte eine ganz konkrete Vorstellung.
So wie ich, die eine ganz konkrete Vorstellung von ihrer modischen Persönlichkeit hat. Ist mein Kleid von Laura Ashley zu tragen dann aber nicht mein Stil in Reinform? Bleibe ich mir stilistisch am treuesten, indem ich meine Styling-Ansprüche an dieses Kleid aufgebe?
Ich fand an diesem Tag keine Antworten auf die Fragen. Und möglicherweise war das gar nicht wichtig. Vielleicht kann ich mich für dreieinhalb Tage im Jahr einfach darauf verlassen, dass Laura Ashley ganz genau wusste, welchen Stil sie kreieren wollte, als sie mein Kleid entwarf. Und das ist Persönlichkeit genug.