Paros: Der letzte Sonnenbrand des Jahres
Von einem Abschied, der mehr schmerzt als rote Arme in der Mittagssonne.
Herbst 2020. Die Stimme des Fischers scheppert durchs Megafon auf seinem grauen Pick-up. Er wiederholt, was er heute Morgen gefangen hat und deswegen im Angebot ist. Wie üblich frage ich mich, welche Fische das wohl sind. Drei Monate lang habe ich ihn vom Balkon aus in meine Straße einbiegen sehen, doch mein Griechisch reicht noch immer nicht aus. Wir grüßen uns trotzdem wie alte Freunde.
Meine Zeit auf Paros ist vorbei, morgen verlasse ich die Insel. Pünktlich zu meinem Abschied ist der bedrohliche Sturm der letzten Tage zu einem willkommenen Lüftchen geworden. Es trägt Kräuteraromen, Weichspülernoten – eine Nase voll Sehnsucht, jetzt schon. Denn es folgt ein Winter ohne Meerblick, ohne Wellenrauschen und Pinienächzen. Doch heute ist noch nicht morgen.
Im Bikini gebe ich mich ein letztes Mal den UV-Strahlen hin. Der Himmel hat keinen Platz für Wolken und mein Körper keine Scheu vor frühzeitiger Hautalterung. Im Gegenteil, Melanin trage ich wie ein Polaroid im Portemonnaie: als Abbild eines Momentes, der so schön war, dass man ihn sofort und für immer einfangen wollte. Doch so wie die Silberhalogenide eines Polaroids mit der Zeit zerfallen, verblasst auch die Sommerbräune – und mit ihr Erinnerungen an endlose Tage mit Sand zwischen den Zehen.
„Ich habe Schuhe an den Füßen und Essen auf dem Teller. Was brauche ich mehr?“, hatte unser Vermieter Nikos geantwortet, als ich ihn am ersten Tag fragte, warum Paros nicht so touristisch überlaufen ist wie Mykonos, Santorini oder Kos. Die Parier würden nicht nach vollen Konten streben, sondern nach Zufriedenheit, erklärte er. Und die ließe sich nicht in Ressort-Anlagen oder Yacht-Verleihen finden. Die Entspanntheit auf der Insel ist es vielleicht auch, warum Salma Hayek hier ganz zwanglos ihren Sommer verbringt. Oder Tom Hanks geduldig in der Reihe für Fährtickets ansteht.
Paros hat Platz für alle: für Hollywood-Stars, die sich nach Alltag sehnen, für die chic gekleidete Britin im Haus gegenüber, die zu Gott auf der Insel fand und für mich, die ihre Aufenthaltsdauer erst verdoppelte und dann verdreifachte. Weil ich nicht genug bekommen konnte von dem Meer, den Menschen und den Zwiebeln, die so lecker sind, dass man sie wie Äpfel essen kann. Hier, wo sich Riesensmaragdeidechsen auf halbhohen Gartenmauern sonnen, wo Autos mit eingestecktem Schlüssel abgestellt werden, damit ich mit runtergekurbelten Fenstern und Kassette in Dauerschleife die Insel umrunden kann und wo das Granitgebirge der Nachbarinsel Naxos bei Tagesende in ein loderndes Abendrot getaucht wird – an diesem Ort hat man alles. Ja, was brauche ich mehr?
Der Fischer hat das Ende der Straße erreicht und wendet. Ich muss an das Thunfischsteak vom ersten Abend denken. Und an den gegrillten Oktopus am Abend darauf. Simpel zubereitet, aber grandios im Geschmack. Wie das Leben hier. Unter meinem Balkon wird der Fischer langsamer. Er reißt die linke Hand gen Himmel, ich nicke und kneiste in die Sonne: ein αντίο ganz ohne Worte, mach’s gut.
Den Knoten in meinem Hals spüle ich mit Wein runter, dabei ist es gerade mal Mittag. Nikos hatte mir eine Flasche zum Abschied gebracht. Als hätte er gewusst, dass der nötig sein würde. Ich stütze mich auf die weiß gekalkte Balkonbrüstung. Die Britin gegenüber deckt den Tisch auf ihrer Terrasse. Der Fischer biegt in die nächste Straße. Und irgendwo löst Tom Hanks sicher gerade ein Fährticket. Das Meer funkelt mir zu. Und in meine Arme brennt sich die Sonne über Paros hinein.