Warum Trennungen was Gutes sind
Eine Kleiderstange voll Ausrangiertem später weiß ich: Wir sollten an nichts festhalten, das eh nie so richtig gepasst hat.
Viele glauben, sich zu trennen bedeutet zu scheitern. Dass man versagt hat, dass man es hätte besser wissen müssen. Dass man nicht gut genug, nicht stark genug, zu stark oder nicht einfühlsam genug war. Ich glaube, Trennungen sind ein Erfolg.
Sich zu trennen bedeutet für mich nämlich vor allem zu wissen, was man nicht will. Vielleicht wollte man es nie, vielleicht auch nur mit der Zeit nicht mehr. Aber wer sich trennt, will keine Zeit vergeuden. Sondern Raum für die schönen Dinge schaffen. Wer sich trennt, entscheidet sich fürs Glücklichsein, für die Zukunft und für sich selbst.
In den letzten Jahren habe ich einige Trennungen beobachtet. Diese Woche habe ich mich selbst getrennt – von einer Kleiderstange voll Vintage-Teilen. Und ja, es ist vergleichbar: Sich von etwas zu verabschieden, was lang nicht nur Teil des Alltags, sondern ein Teil von uns war, ist leichter gesagt als getan. Da kommen uns Zweifel und Ängste und Was-wäre-wenns.
Dann behalten wir etwas, nur weil wir es schon so lang haben, weil es einst so gut gepasst hat, weil wir es damals so schön fanden, weil es eine Investition war, weil es irgendwann wieder Trend werden könnte, weil wir es im letzten Urlaub gekauft haben, der doch so toll war. Das sind Gründe, die weder für Beziehungen noch für unsere Garderobe gut genug sein sollten. Es sind Rechtfertigungen, um uns nicht trennen zu müssen.
Und mit all dem textilen Ballast sehen wir die Outfits vor lauter Kleidungsstücken nicht mehr. Da hängt so viel, was mal war, dass wir nicht erkennen können, was noch sein kann. Also müssen wir stark sein und vielleicht auch kompromisslos: Mit Marie Kondo im Kopf wird jedes Teil in die Hand genommen. Does it spark joy? Bleiben darf nur, was es im Bauch kribbeln lässt. Alles, was Bedingungen stellt oder eine Begründung braucht, muss gehen.
Wie das orangefarbene Kurzarm-Blazerkleid: Ich war völlig vernarrt in die Farbe, als ich es auf Vinted fand. Die goldenen Knöpfe mit Seemannstau-Prägung gaben mir den Rest. Aber die Viskose war so starr, dass ich sie mit meinem Steamer nicht geglättet bekam. Ich hätte vor jedem Tragen das Undenkbare tun müssen: bügeln!
Oder der Midi-Rock mit apfelgrün-cremefarbenem Leo-Print: Der Viskose-Seide-Mix war so fließend, dass ich nicht glauben konnte, den Rock für nur zehn Euro secondhand gekauft zu haben. Doch das Bündchen war einfach zu eng. So konnte ich den Rock nur an Tagen tragen, an denen Essen nicht im Programm stand. Oder Sitzen. Oder Einatmen. Die Gelegenheiten, zu denen ich ihn trug, ließen sich an einer dünnfingrigen Hand abzählen.
Auch der pistaziengrüne Baumwoll-Rollkragenpulli war zu eng – allerdings dort, wo mein Kopf durch sollte. So wurde die Reihenfolge essenziell: Ich musste mich erst durch den zu engen Kragen quetschen, bevor Mascara, Rouge und Highlighter dadurch verschmiert hätten werden können. Danach brauchte mein Gesicht ein paar Minuten, um die Röte der Anstrengung sowie die leichten Schrammen loszuwerden. Selbstpeinigung am Morgen vertreibt nicht Kummer und Sorgen, ich hab’s probiert.
Und dann war da das blassrosa Mockneck-Rippstrick-Shirt: perfekt transparent, perfekt geschnitten – nur nicht perfekt rosa. Zu bläulich war mir der Ton. Er passte nie, so sehr ich es mir wünschte.
Der Blazer in grünem Bouclé mit bunten Sprenkeln ist auch so ein Beispiel. Getragen hatte ich ihn mal zu Weihnachten – wo mir direkt der Vergleich mit einem geschmückten Tannenbaum entgegengebracht wurde; ich nahm’s als Kompliment. Es war zumindest nicht der Grund, warum ich ihn nur noch wenige Male danach trug. Irgendwie war mir der Grünton zu kalt, das fehlende Revers wirkte unvollkommen auf mich und die Schulterpolster konnten sich nicht entscheiden, ob sie nun wirklich welche sein wollten oder nur überschüssige Stoffeinsätze waren.
Auch der ochsenblutfarbene Ledermantel musste gehen. Und das pinke Seidenkleid im Princess-Cut. Genauso wie der weiße Leder-Minirock, die mintgrüne Seidenbluse, der weiße Nylon-Spitzenbody, die Neon-Fleecepullis und das Western-Flanellhemd von Ralph Lauren.
Mit jedem Teil weniger ergab das, was blieb, mehr Sinn: Der gepunktete Seidenrock passt doch so gut zum gerippten Tanktop! Das Slipdress mit blau-lila Farbverlauf sitzt ja fabelhaft! Warum habe ich den blauen Trachtenrock eigentlich nie getragen? Und das taubenblaue Top muss ich unbedingt unter dem limettenfarbenen Pailletten-Trägerkleid ausprobieren! Mein Kleiderschrank kam mir leerer so voll vor wie nie.
Ich hatte nicht mehr das Gefühl, alles unter einen breitkrempigen Strohhut bringen zu müssen. Wie in zwischenmenschlichen Beziehungen war auch in der Beziehung zu meinen Kleidern eine Disbalance entstanden, die sich nun langsam auflöste. Irgendwann war eben genug und irgendwann war jetzt.
Ja, Trennungen sind was Gutes. Wir sehen uns deutlicher, kommen uns wieder näher. Alles fällt leichter, ist weniger zehrend. Und dabei ist es nicht so, dass ich mit den Röcken und Kleidern und Tops und Blusen keine guten Zeiten gehabt hätte. Da waren Sommer voll Erdbeereis und Fahrradtouren mit dem Klapprad, Winter in Wolle und Kaschmir. Als Erinnerungen würden sie ewig bleiben, aber als Begründungen waren sie nicht genug.
Und zwischen all den Kleidungsstücken, von denen wir uns guten Gewissens trennen können, gibt es manchmal auch ein Teil, das bleibt: das gleich auf Anhieb passte wie maßgeschneidert, das casual und Couture zugleich ist, auf das wir immer zählen können. Mit Trägern so filigran, wie man sie jetzt nicht mehr näht und einem Champagner-Ton, der aussieht, als wäre die Flasche gerade geöffnet worden. Es war von Anfang an unsere erste Wahl. And it still sparks joy. Dieses Gefühl lässt sich nicht auswaschen. Und auch nach sieben Jahren und zwei Monaten sorgt es für Kribbeln im Bauch.