Kopenhagen: Die falsche Schuhwahl ist alles
Wie ich mir in der viel zu schönen Hauptstadt Dänemarks das Knie aufschlug und mich anschließend mit der Schwester von Lisa Moorish betrank.
Herbst 2022. Mein erster Tag in Kopenhagen hatte alle Rankings bestätigt: die sauberste Stadt, die grünste Stadt, die glücklichste Stadt, die lebenswerteste Stadt – und eine der teuersten. Ich rechnete gerade die 26 Euro vom Frühstück für Croissant, Kaffee und Orangensaft nach und fragte mich, ob die schlanken Däninnen überhaupt Croissants aßen. Da unterbrach eine Kreuzung die Spuren für Autofahrer, Fahrradfahrer und Fußgänger wie mich.
In Kopenhagen fährt fast die Hälfte aller Menschen mit dem Rad zur Arbeit. Doch mir und meinem nadelgestreiften Minirock von Laurèl aus den 90ern war nicht nach Strampeln zumute. Zu Fuß stand ich an der Kreuzung und musste also nicht nur auf Autos, sondern auch auf genauso viele Fahrräder Acht geben. Doch beide Spuren waren frei genug. In meinen silber glitzernden Slingpumps wagte ich einen selbstbewussten Sprung vom Bordstein. Vielleicht lag es am Croissant, jedenfalls stolperte ich und landete mit dramatischen Armbewegungen bäuchlings auf der Straße.
Ich schlug mir das Knie auf und die Slingpumps sorgten dafür, dass ich mir auch beinahe den kleinen Zeh abtrennte. Mit blutverschmiertem Bein sammelte ich meinen Handtascheninhalt und mein Ego vom Boden auf. Denn die schönen Däninnen radelten bereits zur Hilfe. Dabei wäre ich vor Scham am liebsten überfahren worden.
Doch Däninnen sehen nicht nur gut aus, sie sind auch unglaublich empathisch: „Are you okay?“ Spätestens beim lang gezogenen y wusste ich, dass ich mich blamiert hatte. Ihre strahlend weißen Zähne wirkten wie Scheinwerfer, die noch mehr ungewollte Aufmerksamkeit auf mich lenkten. Und in ihren Ganni-Schnürern demonstrierten sie ganz nebenbei, wie viel Halt ein Paar Schuhe bieten konnte, als sie mir hochhalfen.
Ich lächelte den Scheinwerfern mit schmerzverzerrtem Gesicht entgegen: „I’m fine! I’m absolutely fine! Very fine actually!“ Ich war ein Wildunfall. Nur waren die Däninnen zu nett, mir den Gnadenschuss zu geben. Mein schamhafter Fluchtreflex ließ mich auf der anderen Straßenseite halbe Spitzengardinen und LED-Beleuchtung in den Fenstern ansteuern: eine Kneipe. Abschießen würde ich mich dann eben selbst.
Die Wirtin steckte sich gerade eine Zigarette an, mich nahm sie nur beiläufig wahr. Zwischen vier Tischen und dem Tresen hatte ich freie Platzwahl. Hier war nichts „Scandi-Style“ – zumindest nicht so, wie ihn Interieur-Magazine seit Jahrzehnten anpriesen. Stattdessen miefige Tischdecken, grelle Beleuchtung und Spielautomaten-Gedudel. Genau, was mein geschundenes Ich brauchte. Auf der Toilette traute ich mich, mein Knie zu begutachten: Das sah wirklich so schlimm aus, wie es sich anfühlte. Aber nicht so schlimm wie mein kleiner Zeh.
Ich bestellte zwei Bier. Das erste exte ich als Schmerzmittelersatz, am zweiten nippte ich Schluck für Schluck mein Selbstbewusstsein zurück. Da kam noch jemand in die Bar. Sie ging zur Jukebox, wählte ein Album und auf dem Rückweg sprach sie mich auf Dänisch an. Als ich mit Lächeln und Schulterzucken reagierte, wiederholte sie: „Nice shoes!“ Ehe ich mich bedanken konnte, entdeckte sie auch mein Knie unterm Tisch: „Oh, your knee …“ – „It’s fine! It’s absolutely fine! Very fine actually!“, log ich wieder und nahm einen weiteren Schluck.
Am Tresen kamen wir ins Gespräch. Sie stellte mir die Wirtin vor, die zeigte aber noch immer kein großes Interesse. Dann bedauerte sie, dass dänische Kneipen wie diese leider seltener würden – ersetzt von hippen, stylishen Bars.1 Dabei haben die sogenannten Bodegas in Dänemark Tradition: Seit Jahrhunderten treffen sich dort bekannte Gesichter aus dem Bezirk und jeden Alters auf ein Würfelspiel oder um für wenige Kronen in geselliger Runde Bier zu trinken.
An jenem Abend kamen in dieser Bodega zwei Frauen zusammen, die ihre Liebe für silberne Slingpumps teilten. „I just love sparkly things“, gestand sie. Auf diese Seelenverwandtschaft stießen wir gleich noch mal an. Sie erklärte, dass sie als Krankenschwester so selten dazu käme, Glitzer zu tragen. Und ich erwiderte, dass ich zwar oft Glitzer tragen würde, dafür aber weniger Leben rettete. Wir einigten uns auf „Pyt!“: dem dänischen Ausdruck, sich nicht wegen Kleinigkeiten fertigzumachen.
Wenn ich beruflich mit Mode zu tun hätte, meinte sie, würde ich ja vielleicht ihre Nichte kennen: Sie modele in England. Ein Teil ihrer Familie würde dort wohnen. Ihr Vater Henry hätte Anfang der 70er eine Affäre gehabt und daraus sei Lisa entstanden, ihre Halbschwester. So was können Bodegas auch: Wildfremde dazu bringen, sich ihre Lebensgeschichte zu erzählen.
Lisa sei Musikerin. Sie hätte was mit Liam gehabt, direkt nach seiner Hochzeit mit Patsy. Dann sei Lisa schwanger geworden – allerdings hätten sich ihre Tochter Molly und ihr Vater erst nach 19 Jahren kennengelernt. Danach sei Lisa kurz mit Pete zusammen gewesen. Seine Beziehung mit Kate war wohl gerade vorbei. Aber das war noch, bevor er was mit Amy hatte. Von Pete sei Lisas zweites Kind, Astile.
Nicht nur das Bier machte es mir schwer zu folgen. Und offensichtlich sah sie mir das an. Ein Video auf ihrem Telefon sollte die Geschichte bebildern:
„Here we are at one of Pete’s concerts.“
„That’s Pete? I mean, that is Pete … Pete Doherty.“
„Yes, that’s Pete.“
„So you meant Liam … as in Liam Gallagher? Patsy as in Patsy Kensit? Kate as in Kate Moss? And Amy as in Amy Winehouse?“
„Yes, Lisa Moorish is my sister.“
Und während meine neue Bekanntschaft und ich weiter ihrem Ex-Schwager Pete Doherty auf dem Smartphone-Display dabei zuschauten, wie er im Backstage-Bereich in die Kamera witzelte, wurde mir klar: Das war nicht der Tag, an dem ich mir vor hübschen Däninnen blamabel das Knie aufschlug. Das war der Tag, an dem ich mich mit Lisa Moorishs Schwester in einer Bar in Kopenhagen betrank. Und alles nur, weil ich glücklicher Weise die falschen Schuhe gewählt hatte.
1998 nahm Lisa Moorish zusammen mit George Michael den Wham!-Song „I’m Your Man“ nochmal neu auf. Sie trug darin auch Mini und Slingpumps.
Die Bodega von jenem Abend musste schließen – und öffnete dieses Jahr neu: als hippe, stylishe Bar …
Grooooßartig!! You made my day 😂
Zufälle gibt's! Die richtige Schuhwahl ist alles ;)