Miss KGB 1990
Wie der russische Geheimdienst versuchte, mit seiner „schönsten Mitarbeiterin“ die hässliche Vergangenheit zu übertünchen.
Die Sowjetunion stand im Herbst 1990 kurz vor dem Zerfall und der russische Geheimdienst hatte nach 73 Jahren Schreckensherrschaft ein Makeover dringend nötig. Da titelte die Prawda zur Hilfe: „Katja Majorowa, Miss KGB“.
Die russische Tageszeitung war das Sprachrohr der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und schrieb, wie ihr Name klarstellen sollte, natürlich nichts als „Die Wahrheit“. Kein Wunder, dass die Sowjetbürger ihren Augen kaum trauten, als die braunhaarige 23-Jährige beim Ankleiden ihrer kugelsicheren Weste gezeigt wurde, die sie „mit der herausragenden Leichtigkeit eines Pierre-Cardin-Models“1 tragen würde.
Viel Rouge, viel Vertrauen
Katja Majorowa sollte das neue, gut geschminkte Gesicht des russischen Geheimdienstes werden. In der sonntäglichen TV-Sendung „Guten Abend, Moskau“ würde sie bald über die Tätigkeiten des KGB informieren. „Wir möchten nicht, dass die Leute denken, dass wir hier Monster sind“, erklärte sie David Remnick von der Washington Post.
Der Russland-Korrespondent erinnerte sich noch Jahre später daran, wie bizarr es war, am Telefon nach einem Pressetermin in der Lubjanka zu fragen. Seit 1920 war das Gebäude Hauptquartier, zentrales Gefängnis und Archiv des sowjetischen Geheimdienstes in Moskau – und berüchtigt dafür, Menschen rein-, aber nicht wieder rauszulassen. Und nun war er, der „Klassenfeind“, sogar mit Kamera eingeladen.
Kussmund und Karate
In ihrer Familie sei niemand jemals unterdrückt worden, betonte Katja Majorowa, „aber ich weiß über unsere Vergangenheit Bescheid“. Auch zum Ablauf der Miss-Wahl äußerte sie sich nicht im Detail. Die Anzahl der Teilnehmerinnen blieb, natürlich, geheim. Aber dass sie die offizielle Miss KGB war, konnte sie bestätigen.
Doch dem KGB kam es bei der Miss-Wahl nicht nur aufs Äußere an. Auch als Sekretärin war Katja Majorowa schusssicher, ihre Lieblingspistole: die Makarow2. „Sie versuchen uns Allround-Kompetenzen zu vermitteln“, erklärte sie. Laut Prawda war sie außerdem „jederzeit dazu in der Lage, ihrem Feind einen tödlichen Karate-Tritt an den Kopf zu verpassen“.
Für Bilder posierte sie entsprechend beim Karate-Training und auf dem Schießstand, aber auch vor dem Porträt des eisernen Tscheka-Gründers3, den Lippenstift nachziehend und zu Hause beim Servieren von Tee in Jeans und fliederfarbenem Leo-Pulli.
Ihre Kleidung war so wenig Sowjetproduktion wie ihr Musik- und Männergeschmack: In engen italienischen Jeans gestand sie David Remnick ihre Schwäche für die Beatles und Geheimagenten wie James Bond. Ein KGB-Mitarbeiter müsse es nicht sein, Männer seien eh überall gleich.
Die einzige Schönheit des russischen Geheimdienstes
Nicht nur David Remnick erkannte in den westlichen Präferenzen der Miss KGB den platten Versuch des russischen Geheimdienstes, das eigene Image aufzupolieren. Denn auch wenn der KGB eine Behörde von Tradition war, hatte Außenbildpflege nicht zu den Prioritäten gehört. Dafür war nun eine neugegründete Pressestelle ordentlich kreativ geworden.
So kürten sie nicht nur Miss KGB. Sie luden Journalistinnen zur exklusiven Interview-Runde ein – und verabschiedeten sie mit Schampanskoje und der in rotes Lederimitat gebundenen Geschichte des KGB. Es fanden sogar Ausstellungen in der Lubjanka statt. Dort wurden dann ausgefallene Spionage-Accessoires präsentiert: ein Telefon in einer Schuhsohle zum Beispiel. Die Lippenstift-Pistole wäre auch ein gutes Exponat gewesen.
Miss KGB war das zeitgeistige Highlight dieser lifestyligen Offensive. Immerhin begann die Dekade der Topmodels4, Schönheitswahlen erreichten ihren Höhepunkt. In den Vereinigten Staaten wählte man Miss America, Miss Black America und Miss USA. In Russland Miss Moskau, Miss Odessa, Miss UdSSR und Miss Integral5.
Doch noch bevor Katja Majorowa den Fernsehzuschauern vom neuen KGB vorschwärmen konnte, zerfiel die Sowjetunion ganz. Es folgte ein Jahrzehnt mit entfesseltem organisierten Verbrechen, undurchsichtigen Privatisierungen und grassierender Korruption. Der KGB erlangte als FSB wieder Relevanz für einen neuen Überwachungsstaat und musste sich nicht mehr mühen, eine freundliche Miene zu machen. Die Tage des Rouges und der Presse-Einladungen waren vorbei. So blieb Katja Majorowa bis heute die einzige Miss KGB.
Pierre Cardin galt bereits in den 70ern als der wichtigste westliche Designer in der UdSSR. Er entwarf nicht nur für Raissa Gorbatschowa und kleidete Primaballerina Maja Plissezkaja ein. Er sammelte als UNESCO-Botschafter auch Spenden für die Beseitigung der Folgen der Tschernobyl-Katastrophe. Nach der Perestroika kaufte er Gewerbeimmobilien in Moskau auf, eröffnete dort Restaurants und holte Theatergruppen aus der Provinz nach Frankreich. 1991 veranstaltete er als erster Designer mitten auf dem Roten Platz eine Modenschau. Zum 50. Jahrestag von Juri Gagarins Weltraum-Flug zeigte er eine vom All inspirierte Kollektion im Kreml. Und 2014 erhielt er die russische Auszeichnung des Ordens der Freundschaft.
Wessen Vater ebenfalls in der NVA war, weiß, dass die Makarow die wohl sicherste Pistole war – und zwar für denjenigen, der vor dem Lauf stand. Kugeln blieben stecken, das Ziel wurde fast vorsätzlich verfehlt. Ein oft gehörtes Fazit: „Die ist am treffsichersten, wenn man sie wirft.“
Die erste sowjetische Geheimpolizei wurde unter Lenin gegründet: „Tscheka“ war kurz für „WeTscheKa“ (drei Buchstaben im Russischen) und das stand wiederum für die „Allrussische außerordentliche Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage“. Sie wurde mehrfach umbenannt:
1922 in GPU: „Vereinigte staatliche politische Verwaltung“
1934 in NKWD: „Volkskommissariat für innere Angelegenheiten“
1946 in MWD: „Ministerium für innere Angelegenheiten“
1954 in KGB: „Komitee für Staatssicherheit“
Andere Buchstaben, gleiches Prinzip: Gefürchtet waren alle sowjetischen Repressionsorgane. Zwar haben die Kommunisten weniger akribisch Buch geführt als die Nazis und waren auch schneller im Vernichten von Beweisen, die geschätzten Todeszahlen sind dennoch schwindelerregend: 10 bis 20 Millionen Opfer soll die Tscheka in 73 Jahren durch Massenhinrichtungen, Zwangsarbeit und Folter auf dem Gewissen haben. Viele Historiker sind davon überzeugt, dass es sogar noch mehr waren.
Seit 1995 heißt die sowjetische Geheimpolizei FSB: „Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation“. Die Lubjanka ist seit 1917 Hauptquartier geblieben – und gilt in Russland auch heute noch als Synonym für Unterdrückungsmaßnahmen.
Im selben Monat, in dem die Prawda den Artikel über Miss KGB veröffentlichte, gab Linda Evangelista ihr berüchtigtes Vogue-Interview. Darin witzelte sie nicht ganz unernst, dass sie und ihre Top-Model-Freundin Christy Turlington für weniger als 10.000 Dollar nicht einmal aufstehen würden.
Die erste Miss Integral wurde am 8. März 1964 in Akademgorodok gewählt. Der ausgelagerte Nowosibirsker Stadtteil gilt als das wissenschaftliche Zentrum Sibiriens. Gewinner war German Beznosow, ein Computer-Ingenieur im Damen-Kostüm. Die Inspiration dafür kam aus „Manche mögen’s heiß“, wo sich Tony Curtis und Jack Lemmon als Frauen verkleiden, um sich vor der Mafia zu verstecken. Zu den Wettbewerbsaufgaben der Miss Integral gehörten das Schreiben von Gedichten auf der Grundlage vorgegebener Reime, das Rezensieren eines Gemäldes und eine Runde Walzer. Der Preis: ein Tonbandgerät „in der Größe eines Stuhls“, erinnerte sich German Beznosow nach seiner Pensionierung.
Unglaublich. Solche Storys sind wesentlich interessanter wie der ganze Gossip Kram.
Danke! Völlig ahnungslos ich war