Funkeln wie Tutanchamun: bis in alle Ewigkeit
Wer Pailletten trägt, sorgt für einen bleibenden Eindruck – ob zwischen den Dielen oder im Leben danach.
„Anne, wir finden immer noch überall Pailletten von dir!!“ Diese Nachricht erreichte mich zwei Wochen nach einer Hausparty bei Freunden. Ich finde, schöner kann man nicht in Erinnerung bleiben. Auf einer anderen Party war ein Freund beinahe enttäuscht gewesen, als ich in Marabu-Federn auftauchte: „Ich war mir so sicher, du trägst Pailletten!“
Meine Schwäche für diese kleinen, glänzenden scheibenförmigen Plättchen ist also bekannt. Und ich bin nicht allein damit. Als Lady Gaga vor 17 Jahren ihre erste Promo-Tour startete, verkündete sie nicht weniger, als die Welt verändern zu wollen – und zwar „eine Paillette nach der anderen“. Ganz nach dem Motto des Performance-Künstlers Leigh Bowery, der Pailletten wie folgt gerechtfertigt haben soll: „Wenn ich das Licht schon nicht selbst auf etwas werfen kann, kann ich es zumindest reflektieren.“
So ähnlich dachten sie das wohl alle mal: Michael Jackson, Cher, Elton John, Diana Ross & The Supremes – ihre Kostüme waren ein Fest für jeden Scheinwerfer. Aber auch vor der Bühne wollte gefunkelt werden. So wurden auf der Tanzfläche vom Studio 54 Pailletten zu unzähligen kleinen Discokugeln, während Polyesterhemden1 und Tauben2 die Kraft der Clubbeleuchtung3 nicht überlebten.
Ende der Goldenen Zwanziger waren jedoch auch Pailletten nicht ganz hitzebeständig. Damals reichte schon eine nervös-feuchte Männerhand auf einem entzückenden Damen-Rücken, um die aus Gelatine gefertigten Pailletten zum Schmelzen zu bringen. So hatte der ein oder andere Tanzpartner bleibenden Eindruck hinterlassen – hoffentlich an einer nicht allzu kompromittierenden Stelle.
Sich auflösende Pailletten aus Gelatine sollten eine praktische Weiterentwicklung der bis dahin vernähten Metall-Pailletten sein. Die Flapper-Girls hatten also die Wahl: schwere Kleider, die übers Parkett klirrten, oder eine Art Einweg-Dress, in dem es nicht zu heiß hergehen durfte. Doch Hauptsache es funkelte bis in alle Ewigkeit – getreu dem Trendsetter Tutanchamun, dessen Grab-Entdeckung 1922 diese Ägyptomanie auslöste.
Der Pharao hatte sich etwa 1323 vor Christus mit Paillettenkleidern begraben lassen4 – nicht nur, um einen glänzenden Auftritt im Jenseits hinzulegen. Es sollte ihm ein finanzielles Polster fürs nächste Leben schaffen. Denn die Pailletten damals waren aus Gold: ein Sparschwein zum Anziehen quasi.5 Diese altägyptische Mode-Inspiration kam den als „ungestüm“ bezeichneten jungen Frauen der 20er gerade recht, um darin selbstbewusst und ausgelassen den Charleston zu tanzen.
Dabei war auch Tutanchamun nicht der Erste mit modischem Hang zu Glanz und Glamour. Goldpailletten waren schon 2500 vor Christus im Indus-Tal beliebt. Und in Indonesien soll man bereits vor 12.000 Jahren Pailletten getragen haben – aus Nautilusschalen. Wenn das Pailletten nicht zeitlos macht!
Sie sind also ein Ausdruck von Hoffnung: auf ein nächstes Leben, auf Gleichberechtigung oder auf eine richtig gute Party. Und wer möchte seine Hoffnung schon aufgeben? Was ich hinterlasse, wenn ich Pailletten trage, die sich zwischen den Dielen bei Freunden verlieren, sind kleine Lichtblicke für alles, was noch kommen kann – in zwei Wochen oder 3.000 Jahren. Wenn die Menschheit etwas gebrauchen kann, dann ist es wohl die Erinnerung daran, dass es nicht das Ende ist, dass das Gute Bestand hat und dass im Augenblick zu sein das Schönste ist. Man muss nur mal reflektieren.
Polyesterhemden waren im Studio 54 tabu. Offiziell hieß es, sie würden unter den heißen Scheinwerfern schmelzen. Inoffiziell fand man sie damals schon stillos.
Eines Abends soll das Club-Team weiße Tauben über die tanzenden Gäste in die Luft steigen lassen haben. Doch statt majestätisch durch den Raum zu fliegen, wurden die Tauben durch die Hitze der Scheinwerfer regelrecht gegrillt – und fielen tot von der Decke.
Auch das Beleuchtungskonzept des Studio 54 hat zum Ruf des legendären Clubs beigetragen: Während es in anderen Discos der 70er eher schummrig war, kreierten die führenden Licht-Designer Jules Fisher und Paul Marantz in dem ehemaligen Theater eine schmeichelnde und einmalig kreative Beleuchtung. „Sehen und gesehen werden“ funktioniert eben am besten im richtigen Licht.
Genau genommen fand man in der Grabstätte des jungen Pharaos, der noch vor seinem 20. Lebensjahr gestorben sein soll: 145 Lendenschurze, 12 Tuniken, 10 Gürtel, zwei Leopardenfelle, 28 Handschuhe, 24 Schals, 15 Schärpen, 25 Kopfbedeckungen, zwei Schürzen, vier Socken und 47 Paar Schuhe. Nicht gerade handgepäckfreundlich, diese Reise-Garderobe fürs Leben danach.
Eine ähnliche Ästhetik verfolgte auch die obere Schicht zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert. Man wollte zeigen, was man hat. Nur waren es zu dieser Zeit schon nicht mehr Goldmünzen, sondern flache Metallscheiben. Wirklich dem Trend voraus war übrigens Leonardo da Vinci: Bereits im 15. Jahrhundert zeichnete er einen Entwurf für eine Pailletten-Maschine.
Welch leuchtender Beitrag! ✨ Ich liebe meine Bling-Bling-Jeans und hab meine Augen offen für Bling-Bling. Auf Pailetten-Kleider bin ich selbst noch nicht gekommen. Danke für die Inspiration!
💚 wieder was gelernt !