Ein Pullover in der Farbe Hoffnung
Nicht einfach orange: Mein Strickpullover von Enrico Coveri aus den 80ern ist geläutertpfirsichfarben.
Dieser Zopfstrick-Pullover ist mein Highlight(er) im Winter. Er wärmt Oberkörper und Seele gleichermaßen – eine Kombi, die im zugigen Berliner Grau Gold wert ist. Dabei ist der Pullover orange. Und was für eins!
Es erinnert mich an einen geschälten, in Läuterzucker pochierten Pfirsich, der an einer Kugel Vanilleeis lehnt.1 Ja, exakt daran. Auch wenn die offizielle Definition von Pfirsichfarben sanfter, pastelliger, mehr Rosa oder Apricot ist. An Aprikosen muss ich bei der Farbe des Pullovers ebenfalls denken. Aber Apricot ist laut Farbskala wiederum eher lachsfarben – und das, obwohl frisches Lachsfleisch vielmehr an Blutorange erinnert …
Ich bleibe beim geläuterten Pfirsich. Und die bunten Strick-Applikationen unterstreichen meine Assoziation mit gefrorenem Dessert: Da kommen mir nämlich die Streusel auf einem Pinocchio-Eisbecher in den Sinn, ohne den seit den 60ern vermutlich keine Kindheit auskommt. Farbtechnisch ist dieser Winter-Pullover also Sommer pur.
Eine Erklärung dafür: Er ist Italiener, entworfen von Enrico Coveri, der für seine Verwendung von leuchtenden Farben2 und Pailletten3 bekannt war (als hätte er mir aus dem Herzen designt). 1977 präsentierte er seine erste Kollektion und wurde mit 25 Jahren als Wunderkind der italienischen Mode gefeiert. In der Tageszeitung La Stampa schrieb man später über ihn: „Enrico Coveri war allergisch gegen Schwarz und Trends. Und selbst wenn völlige Dunkelheit herrschte, reagierte er stets mit Tonnen von übertriebenem Grün, aufdringlichem Gelb, frechem Rot und fluoreszierendem Pink.“ Hach, Enrico!
Er kleidete Liza Minnelli, Joan Collins und Sophia Loren ein. In seinen Werbekampagnen präsentierte die Supermodel-Elite seine Entwürfe: Eva Herzigová, Naomi Campbell, Christy Turlington, Linda Evangelista, Cindy Crawford, Tatjana Patitz – fotografiert von Größen wie Bill King und Oliviero Toscani. Andy Warhol kreierte sogar einen seiner legendären Siebdrucke von ihm. Leider starb Enrico Coveri 1990 an Lungenkrebs – mit 38 Jahren viel zu früh und dazu auf dem Höhepunkt seiner Karriere.






Ich entdeckte den Pullover im Januar 2021 im Instagram-Feed von The Wilde Shop, einem wirklich schön kuratierten Vintage-Laden in Kopenhagen. Er war mein erster Kauf des Jahres. Bei der Farbe konnte ich nicht widerstehen. Dabei hatte ich zu der Zeit noch keine Ahnung, von welcher Marke er ist – oder wer Enrico Coveri war. Das ist das Tolle an Vintage: Hinter jedem Teil lässt sich eine Geschichte finden.
Vielleicht ist der Pullover sogar aus seiner letzten Kollektion? Das im Etikett zu lesende „You Young“ ist der Name der Jugend-Linie, die Enrico Coveri 1985 einführte. Wenn ich mir die Silhouetten seiner Kollektionen anschaue, würde ich den Pullover ebenfalls in den 80ern verorten – Mitte oder später. Dafür sprechen auch der feste Stand, die Länge auf Hüfthöhe und die voluminösen Ärmel mit engerem Bund.
Doch abgesehen von der Passform: Enrico Coveri wusste, dass die richtige Farbe selbst an trüben Tagen glücklich machen kann. Und so spendet mir dieser Pullover auch 30 Jahre später noch Hoffnung, dass die warme Saison bald kommt.
Die Eisspeise, die Auguste Escoffier der australischen Sängerin Nellie Melba im Juli 1899 widmete, ist eigentlich meine liebste Farbinspiration für den Sommer: Pfirsich Melba.
Letztes Jahr kam erstmalig eine Biografie über ihn raus: Enrico Coveri – The King of Colors.
Im Le Figaro soll man mal über ihn geschrieben haben: „Pailletten sind für Coveri, was Ketten für Chanel sind.“ Einige seiner Paillettenkleider werden aktuell für knapp 1.000 Euro gehandelt – oder weit darüber. Aber die sind ja auch toll!