Trend-Revival: Fälschungen
Meine Louis Vuitton ist nicht echt, aber gerade wieder echt angesagt.
Als Louis Vuitton verkündete, dieses Jahr wieder mit Takashi Murakami zusammenzuarbeiten, fühlte ich mich ertappt. Zum einen aus modischer Genugtuung, zum anderen aus Angst davor, nach 19 Jahren doch noch verhaftet zu werden. Denn für die Kollektion des französischen Luxus-Labels zusammen mit dem japanischen Künstler beging ich meine erste Straftat. Und auch meine zweite.
Einer der Tatorte war ein Grenzmarkt in Tschechien: verregnet und die Stände voller Fälschungen. Ich machte mir noch nie viel aus Marken. Aber ich machte mir schon immer was aus Design. Mir gefällt also nicht jede Tasche von Louis Vuitton, nur weil sie von Louis Vuitton ist. Ich kann jedoch Gefallen an einer Tasche von Louis Vuitton finden, wenn Farbe und Form stimmen. Selbst wenn sie gar nicht von Louis Vuitton ist. Und 2006, auf diesem tschechischen Grenzmarkt, da kamen Farbe und Form und Fälschung zusammen: als Modell Manhattan mit dem bunten LV-Monogramm aus der ersten Kollektion mit Takashi Murakami.

Am zweiten Ort des Verbrechens brannte die Sonne auf meiner Haut: Venedig, nahe dem Markusplatz, selbes Jahr. Ich war mit meinem Italienischkurs auf Klassenfahrt, wir sollten unsere erlernten Vokabeln anwenden. Das tat ich auch – beim Verhandeln mit einem illegalen Straßenhändler über ein Portemonnaie im selben Design wie meine Handtasche vom Grenzmarkt.
Das farbige Monogramm hatte es nicht nur mir angetan. Als Chefdesigner Marc Jacobs die sonst klassisch braunen Louis-Vuitton-Taschen von Takashi Murakami neu designt in Weiß-Bunt und Schwarz-Bunt für die Frühjahrskollektion 2003 über den Laufsteg schickte, war der Hype groß. Es schadete auch nicht, dass in den Werbe-Anzeigen Eva Herzigová durch das Taschensortiment krabbelte, Naomi Campbell sich in der Wüste darauf räkelte und Jennifer Lopez einfach irgendwie damit posierte.
Getragen wurden die Taschen danach von so ziemlich allen It-Girls der 00er-Jahre: ob Jessica Simpson, Tara Reid, Nicole Richie oder Lil’ Kim. In Mean Girls waren die bunten Louis Vuittons ein Symbol der Zugehörigkeit.1 Und die Autoren von Saturday Night Live widmeten der Kollektion sogar einen Sketch mit Paris Hilton.
Doch anders als in den Modemagazinen und Boulevardblättern trug ich nicht nur ein Must-have spazieren, sondern auch die Schuld der Straftat. Zumindest dachte ich das bis eben noch. Wie ich gerade nachlesen konnte, fällt der Kauf meiner beiden Louis-Vuitton-Fälschungen jedoch unter Eigengebrauch. Nur wenn ich die anderen zehn Modelle auch noch gekauft hätte, wären strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten gewesen.
Was also bleibt, ist die modische Genugtuung: dass ich mit 16 wusste, welches Design legendär genug ist, um darin zu investieren. Bildhaft gesprochen, da ich mit 16 rein gar nichts zum Investieren hatte. Aber ich war mir sicher, das Geld von meiner Kellner-Schicht am Wochenende gut angelegt zu haben.
Und ich lag richtig. Nachdem die Zusammenarbeit von Louis Vuitton mit Takashi Murakami 2015 beendet wurde, erlebte das Design in den letzten Jahren ein Revival. Auch meine Fälschung kramte ich vor sieben Jahren wieder hervor. Den Großteil meiner 20er hatte sie im Staubbeutel verbracht. Irgendwann konnte ich mir nicht mehr in die Augen schauen, wenn sie an meinem Unterarm hing. Doch je näher ich den 30ern kam, desto mehr war mir egal, ob das nun 33 verschiedene Farben im Monogramm waren (wie beim Original) oder nur sieben (woran man eine Fälschung erkennt).
Taschen aus der Murakami-Kollektion waren seit 2015 nur noch secondhand zu bekommen. Und spätestens als 2018 Kim Kardashian ihren Töchtern und Nichten das kleinste Taschen-Modell der Vintage-Reihe zu Weihnachten schenkte, stiegen die Preise im Wiederverkauf. Da sich Louis Vuitton das Revival finanziell nicht entgehen lassen wollte, gibt es seit Jahresbeginn eine Neuauflage der Zusammenarbeit mit dem japanischen Künstler – diesmal beworben mit dem Gesicht von Zendaya.
Die kleinste Tasche kostet 1.900 Euro, sie entspricht dem DIN-Format A5. Es ist die Pochette, die Regina George in Mean Girls trägt. 2003 war sie für 375 Euro zu haben. Mein Modell, die Manhattan, gibt es in der neuen Kollektion nicht. Aber eine Tasche in ähnlicher Größe kostet 2.650 Euro, damals 595 Euro. Auch dafür hätte ich eine Menge Cocktails servieren müssen.
Kein Wunder, dass günstige Fälschungen mittlerweile selbst zum Trend geworden sind. Als Walmart zwischen den Jahren eine Kopie der legendären Birkin Bag anbot, trauten modeaffine Käufer ihren Augen nicht: Nur 78 Euro kostete die Alternative zum Original, das bei 9.000 Euro beginnt – und wofür man erst mal auf die Warteliste kommen muss. „Wirkin Bag“ nannte die Mode-Community die Fälschung liebevoll, die „Birkin für die Arbeiterklasse“. Die Tasche wurde in zwei Größen und 12 unterschiedlichen Farben angeboten und war quasi direkt ausverkauft. Die Unboxing-Videos gingen auf Tiktok viral.
Schon 2008 war sich Louis Vuitton dem Fälschungsmarkt bewusst. Das zeigte das Label mit einem Pop-up-Store in der Aufmachung jener Stände, an denen auch ich meine unechte Manhattan erworben hatte. Engagierte Schauspieler mimten die illegalen Straßenverkäufer und berieten Anna Wintour und ihren innersten Modezirkel. Nur dass die Taschen echt waren – und die Preise auch.
Ich bin ganz glücklich, für die Manhattan nur den gefälschten Preis gezahlt zu haben. Und das nicht erst, seitdem sich die Befürchtungen bestätigten, dass Luxus-Taschen gar nicht Luxus-Qualität bedeuten: wie letztes Jahr, als Razzien bei Armani und Dior ergaben, dass deren Taschen nicht tausende von Euro wert sind, sondern nur 60. Was die Qualität angeht, kann meine Manhattan also definitiv mit dem Original mithalten.
Fun Fact: Die Louis-Vuitton-Taschen in Mean Girls waren auch gefälscht. Wie in vielen Filmen, da das Produktionsbudget keine Reihe an Designer-Handtaschen priorisiert, die als reine Requisiten behandelt werden. Im Fall von Mean Girls aber sagte die Kostümdesignerin Mary Jane Fort, dass sie der Figur Cady (gespielt von Lindsay Lohan) sowieso eine gefälschte Tasche zugesprochen hätte. Im Sinne des Films: Lasst uns mittwochs Fälschungen tragen!
Ich musste gerade bei der „Straftat“ so schmunzeln. Marija und ich haben auch ca. 2006/2007 auf der Straße in Florenz eine gefälschte Speedy gekauft – und sie dann doch nie getragen. Da haben die Schuldgefühle gesiegt 🫣